Maßvoll Wirtschaften erforscht: Was Unternehmen über Suffizienz denken und lernen können

3. Dezember 2025

Ein Smartphone, das nicht nach zwei Jahren ersetzt werden muss? In einer Welt, in der Technik oft auf schnellen Verschleiß getrimmt ist, setzen wir auf ein anderes Prinzip: Sinn- statt Gewinnmaximierung. Doch was bedeutet das konkret – und was hat das mit maßvollem Wirtschaften und Suffizienz zu tun?

In der vergangenen Zeit haben wir uns immer wieder mit diesen Fragen beschäftigt. Zum einen im Rahmen unseres GWÖ-Berichts, in dem wir unser unternehmerisches Handeln in Bezug auf das Gemeinwohl reflektiert haben. Zum anderen im Rahmen des Forschungsprojekts „Maßvoll Wirtschaften“, durchgeführt von der TU Berlin und der BTU Cottbus-Senftenberg. In verschiedenen Formaten des Forschungsprojekts haben wir uns dabei damit beschäftigt, was Suffizienz für uns als Unternehmen bedeutet.

Aus den Ergebnissen des Forschungsprojekts ist eine toll aufbereitete Webseite entstanden. Dort sind neben den Ergebnissen auch ein Mythen-Check, eine Checkliste für konkrete Umsetzungen im Unternehmen oder spannende Praxisbeispiele aufgeführt.

Eine zentrale Rolle im Projekt nahm Laura Beyeler ein, die an der BTU Cottbus-Senftenberg zu Suffizienz und maßvollem Wirtschaften forscht. Im Interview für unseren Blog erklärt sie, warum es nicht bedeutet, dass wir mit Suffizienz wie Steinzeitmenschen leben müssen.

Liebe Laura, vielen Dank, dass du dir Zeit genommen hast, uns das Thema aus deiner Perspektive näher zu bringen.

Was verstehst du unter dem Prinzip der Suffizienz und wie passt der Begriff maßvoll wirtschaften dazu?

Suffizienz steht für mich vor allem für Genügsamkeit. Sie beschreibt eine Art des Wirtschaftens, die Ressourcen zwischen Überfluss und Knappheit sinnvoll ausbalanciert. Die Grundidee lautet: Niemand soll zu viel konsumieren, aber auch niemand zu wenig. Wenn wir uns stärker an echten menschlichen Bedürfnissen orientieren und weniger an überflüssigen Konsumwünschen, werden Ressourcen geschont und Produktion richtet sich klarer am tatsächlichen Bedarf aus.

Suffizienz ist eine von drei Nachhaltigkeitsstrategien, neben Effizienz und Konsistenz. Während Effizienz und Konsistenz vor allem die Umweltwirkungen der Produktion verbessern, etwa durch weniger Materialeinsatz oder weniger Abfall, geht Suffizienz einen Schritt weiter. Sie stellt die Frage, ob bestimmte Produkte oder Prozesse überhaupt notwendig sind und ob wir nicht auch mit weniger materiellem Verbrauch ein gutes Leben führen können. Denn aus Umweltsicht gilt: Keine Produktion ist immer besser als selbst die nachhaltigste Produktion.

Es geht also darum, das richtige Maß in Produktion und Konsum zu finden und zu akzeptieren, dass „mehr“ nicht immer besser ist und, dass wir auch mit weniger ein gutes, genügsames Leben führen können. Maßvoll wirtschaften ist für mich ein Synonym für Suffizienz, weil der Begriff diese Balance zwischen Überfluss und Knappheit gut beschreibt.

Was war die zentrale Fragestellung des Forschungsprojekts „Maßvoll Wirtschaften“?

Die Forschung zum Thema Suffizienz ist noch jung, und auch die Praxis beginnt erst damit, mit maßvollem Wirtschaften zu experimentieren. Es fehlt sowohl in der Forschung als auch in der Praxis an Verständnis darüber, was Suffizienz für Unternehmen bedeutet und wie sie praktisch umgesetzt werden kann. Das Forschungsprojekt „Maßvoll Wirtschaften“ untersucht genau diese Fragen und versucht, die Umsetzung von Suffizienzstrategien in Unternehmen besser zu verstehen.
Durch qualitative Interviews mit 13 Suffizienzpionierinnen und Suffizienzpionieren aus Deutschland, der Schweiz und Österreich haben wir erforscht, welche Faktoren die Umsetzung von Suffizienz unterstützen, welche möglichen Ambivalenzen oder Konflikte dabei auftreten und wie suffizienzorientierte Unternehmen damit umgehen. Zusätzlich haben wir durch eine Umfrage unter mehr als 300 nachhaltigen Unternehmen beobachtet, wie verbreitet Suffizienzstrategien sind und wie diese weiter skaliert werden können.

Was waren eure Ergebnisse und wo sind sie veröffentlicht?

Dank unserer Analyse haben wir einen Überblick über Suffizienzstrategien für Unternehmen erstellt. Dieser Überblick hilft Unternehmen zu verstehen, was sie in ihren Prozessen und Praktiken tun können, um maßvoll zu wirtschaften. Suffizienz ist ein ganzheitliches Projekt. Deshalb gibt es sowohl interne Strategien, die Suffizienz in allen Unternehmensbereichen verankern, als auch externe Strategien, die suffizienzorientierte Lebensstile fördern. Beispiele für interne Strategien sind eine suffizienzfördernde Führung oder Organisationskultur sowie die Vermeidung unnötiger Produktinnovationszyklen. Externe Strategien umfassen zum Beispiel die Gestaltung langlebiger und ressourcenschonender Produkte.
Wir haben außerdem unterstützende Faktoren und Vorteile von Suffizienz erforscht und identifiziert. So nennen 92 Prozent der befragten Unternehmen das Engagement, Wissen und die Überzeugung der Mitarbeitenden als besonders hilfreich für die Umsetzung von Suffizienz. 70 Prozent geben an, dass das wachsende Interesse in Medien und Öffentlichkeit den Unternehmen Rückenwind gibt. Als Vorteil nennen 95 Prozent der befragten Unternehmen, dass Suffizienz die Reputation stärkt, und 88 Prozent sagen, dass maßvolles Wirtschaften dabei hilft, neue Kundinnen und Kunden zu gewinnen.
Die Umsetzung von Suffizienzstrategien ist jedoch von Ambivalenzen geprägt. Es ist nicht immer einfach, Suffizienz in einem kapitalistischen, profit- und wachstumsorientierten System umzusetzen. Da bei suffizientem Wirtschaften nicht die Profitmaximierung im Zentrum steht, sind die Einnahmen oft geringer als in konventionellen Unternehmen. Viele suffizienzorientierte Unternehmen berichten deshalb, dass fehlende Ressourcen – finanziell, personell oder zeitlich – die Umsetzung verlangsamen. Zum Beispiel verfügen sie über weniger finanzielle Mittel für Lobbyarbeit, die strukturelle Veränderungen ermöglichen würde, welche wiederum wichtig für die Umsetzung von Suffizienz sind.
Diese Herausforderungen erfordern neue Lösungen. Die befragten Suffizienzpionierinnen und -pioniere finden kreative Wege, um mit den Ambivalenzen umzugehen. Kollaboration mit unterschiedlichen Akteuren ist eine zentrale Strategie, um Suffizienz umzusetzen und zugleich die Spannungen zwischen maßvollem und kapitalistischem Wirtschaften zu bewältigen. Ein wichtiges Ergebnis unseres Forschungsprojekts ist daher, dass Menschen und ihre Beziehungen im Mittelpunkt dieses Transformationsprozesses stehen. Suffizienz entsteht durch die Motivation und Ausbildung von Führungskräften und Mitarbeitenden und entwickelt sich weiter durch Solidarität und Zusammenarbeit zwischen suffizienzorientierten Organisationen und Akteuren.

Unsere Ergebnisse sind auf unserer Webseite „Maßvoll Wirtschaften“ für die Praxis zusammengefasst und aufbereitet. Wir freuen uns, wenn neue oder bestehende suffizienzorientierte Unternehmen über die Webseite die Umsetzung von maßvollem Wirtschaften besser verstehen und anwenden können.

Welche Rolle spielt Produktgestaltung – z. B. Reparierbarkeit – für eine suffizienzorientierte Wirtschaft?

Langlebige Produktgestaltung sowie Dienstleistungen, die Reparatur, Wiederverwendung und generell eine längere Lebensdauer von Produkten ermöglichen, sind für Suffizienz zentrale Strategien. Die Verlangsamung von Produktions- und Konsumzyklen ist wichtig für maßvolles Wirtschaften. Das zeigt sich auch in unseren Ergebnissen: Knapp über 50 Prozent der befragten Unternehmen geben an, dass sie langlebige Produkte gestalten, und etwas mehr als 30 Prozent bieten Reparatur oder Wiederverwendung an.
Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass langlebige Produktgestaltung nicht die einzige Suffizienzstrategie ist und dass sie mit vielen anderen Prozessen und Strategien verbunden werden kann. Bevor Produkte langlebig, modular oder reparierbar gestaltet werden, können Unternehmen auch grundsätzlich hinterfragen, ob neue Produkte oder Innovationen überhaupt notwendig sind. In einer maßvollen Wirtschaft stellen sich Unternehmen und Konsumentinnen und Konsumenten die Frage, ob Produktion und Konsum materieller Güter wirklich nötig sind.
Auch andere Prozesse sind wichtig und ergänzen die Produktgestaltung. Dazu gehören zum Beispiel die Schulung von Mitarbeitenden zum Thema Suffizienz, die Begrenzung von Wachstumszielen, suffizienzfördernde Eigentümerstrukturen, die Anpassung von Marketing und Vertrieb an einen langsameren Konsum oder eine Preisgestaltung, die tatsächliche Kosten widerspiegelt. Suffizienzorientierte Unternehmen wenden daher häufig mehrere unterschiedliche Suffizienzstrategien gleichzeitig an und passen sie an ihre eigene Situation an.

Zusammengefasst: Suffizienz bedeutet also nicht, dass wir alle Leben müssen wie Steinzeitmenschen?

Suffizienz ist eine Logik des Wirtschaftens, die Produktion und Konsum an menschlichen Bedürfnissen orientiert. Im Idealfall wird in einer suffizienzorientierten Gesellschaft nur das hergestellt, was wirklich notwendig ist, um Bedürfnisse zu erfüllen. Dadurch entsteht eine Bewegung vom Überfluss hin zu mehr Genügsamkeit. Menschen, die heute bereits zu wenig konsumieren, um ihre Bedürfnisse zu decken, sollen davon natürlich nicht betroffen sein. Im Gegenteil: Sie sollten ihren Konsum erhöhen können. Viele Menschen weltweit haben zum Beispiel keinen Zugang zu Strom oder Gesundheitsversorgung. Suffizienz bedeutet daher auch Umverteilung, damit alle Menschen genug haben – nicht zu viel und nicht zu wenig.
Genügsamkeit hat nichts mit einem Leben wie in der Steinzeit zu tun, sondern mit Gerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit. In Deutschland und anderen westlichen Ländern produzieren und konsumieren wir derzeit mehr, als Ökosysteme bereitstellen und regenerieren können. Dieser Rhythmus ist langfristig nicht haltbar und gefährdet unsere eigenen Lebensgrundlagen. Gleichzeitig sind viele Menschen, die weit weniger konsumieren, überdurchschnittlich stark von den Folgen dieser Überproduktion betroffen, etwa durch die Auswirkungen des Klimawandels.
Reduktion bedeutet also nicht, gar nichts mehr zu konsumieren. Es bedeutet, so viel zu konsumieren, dass es ökologisch tragbar und sozial fair bleibt. Wenn sich die Wirtschaft verlangsamt und stärker auf tatsächliche Bedürfnisse ausrichtet, können sich Natur und Ökosysteme regenerieren, Menschen können sich von Überproduktion und Ausbeutung erholen und Ungleichheiten im Zugang zu Gütern und Dienstleistungen können durch Genügsamkeit und Umverteilung reduziert werden.

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